AWO-Chef Beyer zum Armuts- und Reichtumsbericht (ARB) der Bundesregierung: „Chance zur sozialpolitischen Kehrtwende vertan“

AWO-Vizepräsident und Landesvorsitzender Teilnehmer beim heutigen Experten-Symposium zum ARB – Politik muss Umverteilungsdebatte aufwerfen – Steuerpolitische Instrumente vonnöten.

„Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung mit seinen teilweise schockierenden Zahlen könnte eine Kehrtwende in der Sozialpolitik markieren, wenn er zum Anlass genommen würde, Armut endlich zu bekämpfen. Indes: Chance mal wieder leider vertan. Aber der Reihe nach: Der Bericht enthält eine Fülle aktueller und wichtiger Daten und Fakten über die Entwicklung von Armut und Reichtum in Deutschland respektive die vielzitierte Schere, die sich zwischen Vermögenden und Bedürftigen immer weiter öffnet – auch in reichen Bundesländern wie Bayern“, erklärt der Vize-Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Deutschland und bayerische Landesvorsitzende Thomas Beyer. Doch auch in seiner fünften Auflage bleibe der ARB bedauerlicherweise ein zahnloser Tiger.

 

Der bayerische AWO-Chef nimmt zur Stunde am Expertensymposium anlässlich des ARB in Berlin teil. Beyer: „Was der Bericht nämlich nicht enthält, sind bindende Vorschläge für verteilungspolitische Konsequenzen. Der Armuts- und Reichtumsbericht muss neben einer ehrlichen Bestandsaufnahme vor allem konkrete gesetzgeberische Maßnahmen gegen Armut und für mehr Verteilungsgerechtigkeit vorschlagen. Nur so könnten die Ursachen von Armut und Armutsgefährdung strukturell angegangen beziehungsweise beseitigt werden.“

 

Der beschriebenen Entwicklung – Auseinanderdriften der sozialen Schichten – folgen laut Beyer keine wesentlich neuen Schlussfolgerungen wie zum Beispiel geltende Regelungen kritisch auf ihre Wirksamkeit zu prüfen.

 

Als besonders kritisch wertet die AWO, dass im Armuts- und Reichtumsbericht der Lebensphasenansatz eine starke individuelle Perspektive aufweist und dadurch die Gefahr birgt, dass institutionelle und strukturelle Ursachen von Armut und sozialer Ausgrenzung unerkannt bleiben. Aus Sicht der AWO darf sich der Fokus aber nicht auf individuelles Verhalten konzentrieren, sondern muss auf den Wandel der Verhältnisse gerichtet werden. Gleichzeitig darf die soziale Wirklichkeit nicht unabhängig und losgelöst von der Verfasstheit der deutschen Wirtschaft gesehen werden.

 

Außerdem gilt nach Meinung der AWO, dass Armut und Reichtum im Verhältnis nicht isoliert voneinander betrachtet werden dürfen. So wäre es erhellend gewesen, sich im Bericht mit Reichtum und seinen gesellschaftlichen Ursachen und Folgen intensiv auseinanderzusetzen.

 

„Dennoch wünscht die AWO der Bundesregierung den Mut, die Umverteilungsdebatte neu aufzuwerfen. Die muss wirksame Maßnahmen zur Überwindung der wachsenden Ungleichheit und steigenden Armutszahlen auf den Weg bringen. Vor diesem Hintergrund fordert die AWO ein eigenständiges Armutsbekämpfungsprogramm, das sowohl ausreichend Bildungschancen über den gesamten Lebenslauf hinweg als auch eine andere Verteilungspolitik ermöglicht. Denn es wäre zu kurz gegriffen, sich allein auf bessere Bildungschancen zu konzentrieren. Um der ungleichen Vermögens- und Einkommensverteilung wirksam entgegenzusteuern, bedarf es insbesondere steuerpolitischer Instrumente“, erklärt Beyer.